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Ehrenamtliche Betreuer

„Ich bin da reingewachsen“/ Ingrid Franz arbeitet seit 22 Jahren als ehrenamtliche Betreuerin

 

Wiesbaden. Wenn Ingrid Franz eine ihrer ältesten Klientinnen besucht, wird sie meist schon ungeduldig erwartet und bekommt auf ihre Frage nach dem Wohlbefinden immer die Antwort: „mir geht es gut“, sagt Rosi Pfaff (Name von der Redaktion geändert) schon 101 Jahre alt, aber das sieht man ihr nicht an. Die Rentnerin ist noch rüstig und freut sich schon auf Kuchen und Kaffee und einen Spaziergang mit ihrer Betreuerin. Das Kaffee ‚Miteinander‘ gehört zum Laurentius-Münch-Haus, einem Alten- und Pflegeheim in Flörsheim und ist täglich für Heimbewohn* und Nachbarn geöffnet. Hier gibt es viel Schatten unter den großen Bäumen und die Kuchen sind alle selbstgebacken. Aufgrund der beginnenden Altersdemenz ermutigt Ingrid Franz die alte Dame immer wieder dazu, aus ihrem bewegten Leben zu erzählen, während die beiden ihre Eierlikörtorte essen. „Ich habe meine Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt und nebenbei einen eigenen Schreibwarenladen geführt“, erinnert sich Rosi Pfaff. Aber nicht nur die Vergangenheit ist Thema. „Man kann sich mit Frau Pfaff auch über aktuelle Themen unterhalten, beispielsweise den Krieg in der Ukraine. Sie hat zu allem eine klare Meinung“, erklärt Ingrid Franz. Nach dem Kuchen machen die beiden Damen einen kleinen Spaziergang im nahe gelegen Park. „Frau Pfaff liebt es den spielenden Kindern zuzusehen“, erzählt Ingrid Franz, die die Vorlieben ihrer Klient*Innen sehr gut kennt. Viele betreut sie jahrelang und bis über deren Tod hinaus. Sie pflegt die Gräber oder kümmert sich später um deren Kinder, die Betreuungsbedarf benötigen. „Das ist meine Berufung“, sagt die ehrenamtliche Betreuerin. Erst hatte sie nur Familienmitglieder betreut und gepflegt, aber vor 22 Jahren hat sie sich dafür entschieden ehrenamtliche Betreuerin zu werden. Dafür waren einige Lehrgänge und Schulungen nötig, aber bereut hat sie es nie. „Es wird nie langweilig. Man wird immer wieder neu gefordert. Ich selbst bin dadurch gewachsen und selbstbewusster geworden“, sagt sie. Auch ihre Sicht auf den Tod habe sich verändert. Manchmal müssen Betreuer*Innen über sich selbst hinauswachsen und nicht jede Entscheidung fällt leicht. Eine ihrer Klientinnen liegt seit 16 Jahren nach einem Suizidversuch im Wachkoma. „Sie wollte sterben und muss leben,“ sagt Ingrid Franz. Kürzlich hat sie mit einer Ärztekommission zusammengesessen und unter Prüfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und ethischen Gesichtspunkte die schwere Entscheidung fällen müssen, dass keine Maßnahmen der Reanimation erfolgen, wenn wieder ein medizinischer Notfall eintreten sollte.

 

Solche Entscheidungen gehen weit über die einfachen Verwaltungs- und Behördenangelegenheiten hinaus, gehören aber ebenfalls zum Alltag eines/r ehrenamtlichen Betreuer*In. Gesetzliche Betreuer*Innen und damit auch die Ehrenamtlichen Betreuer*Innen sind die gesetzlichen Vertreter*Innen für die vom Amtsgericht eingesetzten Aufgabenkreise.

In Wiesbaden werden knapp 60 Ehrenamtliche Betreuer*Innen vom Betreuungsverein des IFB e.V.´s in ihrer verantwortungsvollen Aufgabe unterstützt.

„Sie sind sehr wichtig für uns und wir suchen händeringend nach weiteren ehrenamtlichen Betreuer*Innen“, sagt Ulrich Wunderlich, Geschäftsführer des Betreuungsvereins.

An den Beispielen von Frau Franz sieht man, dass die Ehrenamtlichen Betreuer*Innen weit über die Aufgaben der gesetzlichen Vertretung hinaus gehen.

 

Acht Menschen mit Behinderung werden von Ingrid Franz derzeit betreut. Wenn sie Hanne Krüger (Name von der Redaktion geändert) in ihrer Wohngruppe der Lebenshilfe in Wiesbaden besucht, bringt sie auch mal selbstgebackenen Käsekuchen mit. „Da freuen sich alle“, sagt Ingrid Franz, die auch schon mit der WG gemeinsam gekocht hat. Aber sie müsse immer aufpassen, dass Hanne nicht eifersüchtig wird. „Das passiert, wenn ich zu viel mit den anderen rede.“ Deshalb zieht sie sich nach dem gemeinsamen Kuchenessen mit ihrer 61-jährigen Klientin in deren Zimmer zurück, um private Dinge zu besprechen. Hanne Krüger ist seit Geburt geistig beeinträchtigt.  Viele Dinge verarbeitet sie sehr langsam, wie den Tod der Mutter, die kürzlich verstorben ist. Sie versteht nicht, dass die Mutter nicht an einer Krankheit, sondern aufgrund ihres hohen Alters verstarb. Dann beginnt Hanne zu weinen und Ingrid Franz tröstet sie mit den Worten: „Deine Mutter ist nicht ganz weg. Sie ist immer ein bisschen bei dir, wenn du dich an sie erinnerst.“ Und dann beginnt sie die Klientin abzulenken. „Zeig mir doch mal, was du dir gekauft hast, als ihr mit der Wohngruppe einen Ausflug in die Stadt gemacht habt.“ Das wirkt. Hanne holt stolz ihre neue Unterwäsche und T-Shirts hervor, in Pink, ihrer Lieblingsfarbe. „Kannst du mir mal diese Bänder und Etiketten rausschneiden, die kann ich nicht leiden“, sagt Hanne und Ingrid Franz greift zur Schere. Sechs Jahre betreut sie Hanne jetzt und sagt über diese Zeit: „Hanne ist mir so ans Herz gewachsen. Sie ist wie eine Tochter für mich.“ Aufgrund des Alters könnte es passen, denn auch Ingrid Franz ist mit ihren 67 Jahren eigentlich schon im Rentenalter. Doch ans Aufhören will sie noch nicht denken. „Ich habe mir ein Limit gesetzt. Ich will das noch machen, bis ich 70 bin.“ Doch wer sieht, wie leidenschaftlich Ingrid Franz als ehrenamtliche Betreuerin sich für ihre Betreuten einsetzt, bekommt leise Zweifel daran, dass in 3 Jahren wirklich Schluss sein soll.  

 

Ingrid Franz seit 22 Jahren ehrenamtliche Betreuerin
Rosi Pfaff, 101 Jahre alt, Klientin
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