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Auch Rabauken sind große Kuschler

Erzieherin Christine Kröck betreut im Kinderhaus Nesthäkchen Jugendliche mit schwersten Behinderungen.

GÖRSROTH. Ihre Jungs sind 19, 18, 17 und 13 Jahre alt, dazu kommt ein Mädchen in Kurzzeitpflege – Christine Kröck, Leiterin der Wohngruppe Mobilé im Kinderhaus Nesthäkchen, hat keine ruhige Minute an diesem Ferienvormittag. Vier ihrer „Pubertiere“ waren bei Dienstbeginn um 6 Uhr schon putzmunter. Auch für den Ältesten ist es jetzt Zeit aufzustehen: „Achtung, Aryan, ich mache jetzt Licht“, sagt Kröck in den abgedunkelten Raum hinein, damit der junge Mann nicht erschrickt. Er sieht weit jünger aus als 19. Große dunkle Kulleraugen blicken erstaunlich wach in den plötzlich hellen Raum. Schüssel, Waschlappen, frische Windel: Der Tag beginnt für Aryan mit Hygieneprogramm.

Die Pädagogin aus Heidenrod kündigt häufig den jeweils nächsten Handgriff an, so dass dem Jungen ein Moment bleibt, sich darauf einzustellen und zuzuordnen, was passiert, vom Absenken des Bettgitters über den Waschvorgang bis zum Hochfahren der Rollläden. Es hat den Anschein, als wolle er helfen, etwa beim Anziehen der Socken, wo er die Fersen ein winziges bisschen anhebt. „Wir kennen uns, seit Aryan mit etwa sieben Jahren zu uns kam“, erinnert sich die 39-Jährige. Damals war die Einrichtung noch in Laufenselden. Aryans Familie stammt aus Indien, die Eltern leben in Singapur. Der Junge wurde gesund geboren, hatte einen schlimmen Unfall, durch den Gehirn, Wirbelsäule, Hüfte und Knie schweren Schaden nahmen.

Christine Kröck setzt den schmalen Kerl in seinen Rollstuhl. „Da ist inzwischen zu wenig Auflagefläche unter seinen langen Beinen“, sagt sie bedauernd. Aber es gibt Probleme bei der Finanzierung des benötigten größeren Rollstuhls. „Die Versicherung der Eltern zahlt das nicht, auch andere Hilfsmittel nicht, die nötig wären.“ Man merkt, das grämt sie. Kröck und ihre Kolleginnen, ob Erzieherinnen, Pflegekräfte oder Heilerziehungspfleger, sehen täglich, dass die Kinder sich ungeachtet ihrer Einschränkungen weiterentwickeln. Ein dem Wachstum angepasster Rollstuhl samt Sitzauflage ist nur ein Hilfsmittel, aber er würde Aryans Leben leichter machen. Die Kosten wären jedoch erheblich, 10.000 Euro oder mehr, schätzt Kröck.

Aryan ist inzwischen bei seinem Salamibrot angelangt. „Er liebt es herzhaft“, schmunzelt Kröck über seinen sichtbar guten Appetit und reicht ihm die Gabel mit je einem kleinen Stück Brot. Aryan nimmt sie geschickt mit der beweglicheren rechten Hand und kommt auch mit dem Wasserbecher gut zurecht, den Kröck nur etwas abstützen muss. „Ich hätte mir früher nicht vorstellen können, mit Kindern zu arbeiten, die so schwer beeinträchtigt sind“, sagt die Wohngruppenleiterin. Sie hat erst Sozialassistentin gelernt, dann drei Jahre eine Erzieherinnenausbildung gemacht, das Anerkennungsjahr im heutigen Nesthäkchen. Sie legt eine kleine Gitarre auf die Ablage von Aryans Rollstuhl. Der fängt umgehend an, an den Saiten zu zupfen.

Jeder der jungen Bewohner ist anders. Alle werden gezielt gefördert und gefordert, denn das Nesthäkchen ist kein Pflegeheim, es ist eine pädagogische Einrichtung. Dazu gehört, Regeln zu vermitteln und durchzusetzen. Als der 17-jährige Brian die Pädagogin feste in den Arm kneift, hört er ein klares: „Nein!“, hält kurz inne, und zerrt dann an ihrem T-Shirt. Kröck fasst nach Hand und Stoff - begleitet von einem lauteren: „Nein!!“ Sekunden später legt der Junge ganz sanft seine Arme um sie, lässt sich bäuchlings auf eine Art rollendes Surfbrett betten, mit dem er über die Flure düst. Energie braucht Ventile, kein Mülleimer ist mehr sicher, wenn Brian auf große Fahrt geht. „Nach der Schicht bin ich meist zu platt für die Gartenarbeit“, sagt Kröck. „Aber ich fahre mit einem sehr zufriedenen Gefühl nach Hause.“

Wer Interesse hat, mit Kindern zu arbeiten, die geistig und körperlich eingeschränkt sind, kann sich gerne im Kinderhaus Nesthäkchen melden: Telefon: 06126 9512110 oder E-Mail: erik.gallasch@ifb-stiftung.de

Christine Kröck arbeitet seit zwölf Jahren im Kinderhaus. Für Aryan ist sie eine wichtige Bezugsperson. Foto: IFB-Stiftung
Spielerisches Stehtraining: Erzieherin Christine Kröck (li.) und Auszubildende Gwen Rauscher halten Marco bei der ungewohnten Muskelarbeit bei Laune. Foto: IFB-Stiftung
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