Zurück

Viele haben nicht mal einen Namen

Ntombi Shange ist Sozialarbeiterin in Südafrika – Menschen mit Behinderung haben dort keine Lobby

WIESBADEN/GEORGENBORN. Ntombi Shange trägt eine warme Steppjacke. Daheim in Südafrika ist jetzt Sommer, das bedeutet oft Temperaturen um 40 Grad. November in Deutschland ist auch in Zeiten des Klimawandels für eine Südafrikanerin ziemlich frisch. Die 39-Jährige aus der Kap-Region arbeitet eigentlich im Kinderheim und -hospiz Löwenmut nahe Johannesburg. Es wurde 2011 von der IFB-Stiftung initiiert, um Kindern mit schwersten Behinderungen einen Ort zu geben, an dem sie Zuwendung erleben, betreut und gefördert werden und in einer geschützten Umgebung manchmal auch ihren letzten Weg gehen können. Bei ihrem Besuch auf Einladung von IFB-Vorstandschef Wolfgang Groh lernt sie Einrichtungen der IFB in Wiesbaden und Georgenborn kennen. In einem Interview erzählt sie, wie anders sie den Umgang mit Behinderung hier und im Süden Afrikas erlebt.

Ntombi, in Südafrika arbeitest Du mit Kindern, im Christian-Groh-Haus in Georgenborn hast Du den Alltag in einer Wohneinrichtung für Erwachsene mit Behinderung kennengelernt. Was kam Dir dabei besonders fremd oder anders vor?

Verblüffend fand ich, wie sehr die Bewohner selbst bestimmen, was sie wollen und was nicht. Dass sie rausgehen, wie jeder andere, einkaufen, arbeiten.

Ist das in Südafrika anders?

Total anders. Menschen mit Behinderung sieht man nicht auf der Straße. Sie werden versteckt und bevormundet, auch wenn sie erwachsen sind.

Werden sie diskriminiert?

Ja.

Schauen Menschen in Südafrika anders auf Behinderung als in Deutschland?

Unbedingt. In Deutschland wird akzeptiert, wenn jemand eine Behinderung hat. Es ändert nichts am Menschsein. In Südafrika sind Menschen mit Behinderung Objekt. Viele haben nicht mal einen Namen. Sie haben keine Chance, sich zu entwickeln und normal am Leben teilzunehmen.

Stimmt es, dass viele behinderte Kinder in Südafrika einfach ausgesetzt werden?

Tausendfach. Sie gelten als Schande. Oft werden sie sich selbst überlassen oder abgelegt. Eines unserer Löwenmut-Kinder, das kürzlich verstorben ist, hat man auf einer Krankenhaustoilette gefunden. In einem erbärmlichen Zustand.

Hast Du Dich bewusst für die Arbeit mit Kindern entschieden, die so schwere Behinderungen haben und eine verkürzte Lebenserwartung?

Ich wollte helfen. Ich hatte eine Tante mit Down-Syndrom. Ich habe schon als Kind gespürt, dass es nicht richtig ist, schlecht mit Menschen umzugehen, nur, weil sie anders sind als andere. Erst wollte ich Krankenschwester werden. Aber es war nicht die Art Hilfe, die mir vorschwebte. Dann habe ich eine Weile im Büro gearbeitet. Aber Papier und Computer: Das ist nicht meine Welt. Und dann lernte ich über Adele (die neue Leiterin des Kinderhospizes Löwenmut, Anm. d. Red.) die Känguru Foundation kennen, wie Löwenmut in Südafrika heißt.

Was magst Du am meisten an Deiner Arbeit?

Das enge Band, das uns mit den Kindern verbindet. Wenn mir ein Kind auf seine Weise zeigt, dass es wertschätzt, was ich für es tue, dann berührt mich das tief im Herzen.

Und was zieht Dich runter?

Wenn wir ein Kind verlieren. So wie kürzlich Sipho, den Jungen von der Krankenhaustoilette. Er hat so gekämpft und wir mit ihm. Er war ein wunderbarer Junge, hat immer gekichert und uns viel Freude geschenkt. Sein Tod hat uns alle hart getroffen.

Was richtet Dich wieder auf?

Die anderen Kinder, die Kolleginnen. Und meine Tochter, sie ist 16.

Wie wichtig sind Spenden und Patenschaften aus Deutschland?

Ohne sie können wir nicht überleben. Die staatliche Unterstützung reicht nicht, um die Kinder für die Zeit, die Ihnen bleibt, angemessen zu betreuen und zu fördern. Adoptionen sind selten und die Plätze für Kinder mit Einschränkungen viel zu knapp. Löwenmut wurde in den letzten Jahren ausgebaut, bald können wir 56 Kinder unterbringen. Das verdanken wir der Unterstützung von Menschen und Unternehmen aus Deutschland, für die Südafrika nicht nur ein Urlaubsland ist. Patenschaften und Spenden sind für uns existenziell.

Ntombi Shange (li.) und Anna-Mira Hammer beim Brettspiel mit Heinz Römer (li.) und Gerhard Volp im Christian-Groh-Haus. Foto: IFB-Stiftung
Die Arbeit mit Kindern, die behindert sind, macht Ntombi glücklich. Aber es gibt auch traurige Momente. Foto: IFB-Stiftung
Zurück