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„Die Freiheit für ein bisschen normales Leben“ - Familienentlastender Dienst (FED)

Der Familienentlastende Dienst (FED) der IFB-Stiftung unterstützt seit knapp 20 Jahren Familien behinderter Kinder und Jugendlicher. Die benötigen Zeit für sich, um auch mal Kraft zu tanken für einen oft anstrengenden Alltag. Qualifizierte Betreuer wie Monika Störkel-Kaiser stehen fest an ihrer Seite.

Stian liebt es zu schaukeln. Arme, Beine und Kopf des groß gewachsenen Neunjährigen ragen locker über die Ränder der Nestschaukel. Er leidet am seltenen Bainbridge Ropers Syndrom, von dem weltweit weniger als 100 Fälle bekannt sind. „Bis zur Diagnose dauerte es acht Jahre“, berichtet seine Mutter Tarja Schnurr.

Anfangs schien alles gut. Alle Vorsorgeuntersuchungen waren unauffällig. „Er war ein rundes, scheinbar gesundes Kleinkind“, erinnert sie sich. Erst nach und nach fiel auf, dass Stian sich nicht entwickelte wie gleichaltrige Kinder. Der Gendefekt lähmte seine psychomotorische und geistige Entwicklung. Dank intensiver Förderung und Betreuung hat er laufen gelernt. Sprechen kann er nicht, aber Laute artikulieren und zeigen, was er will - und was nicht. In der Schule lernt er, sich durch Zeichen auszudrücken. Und nachmittags, in der Einzelbetreuung des Familienentlastenden Dienstes (FED) der Gemeinnützigen Känguru Jugend GmbH, weiß er sehr genau, wie er an die Schatzkiste mit Süßigkeiten kommt. Er nimmt seine Betreuerin, Monika Störkel-Kaiser, entschlossen an die Hand, führt sie zu der bunten kleinen Truhe und legt die Handflächen zu einem „Bitte!!!“ aneinander. Und schon ist der Weg frei zum begehrten Kaubonbon.

Schaukeln sind der Favorit

Gestärkt durch diese extra Portion Zucker, lässt er sich bereitwillig die Jacke anziehen, denn er weiß, es geht zum Känguruland, zu den Lamas Saba und Zulu, den Eseln Tess und Speedy, allerlei streunenden Katzen, die hier versorgt werden, und zu den Schaukeln. „Das ist unser Spielplatz für unsere Kinder“, sagt Monika Störkel-Kaiser, die Leiterin des FED. „Hier können sie sein wie sie sind.“ Das heißt vor allem, sich in einem geschützten Grünbereich mit vielen Bäumen unbeschwert bewegen, die Tiere streicheln und striegeln - wozu Stian gerade gar keine Lust hat. Die Schaukeln sind heute seine Favoriten. Störkel-Kaiser lässt ihn entscheiden, was er möchte. Es ist schließlich seine Freizeit. Weil zu Stians Krankheitsbild auch autistische Züge gehören, wirkt es von außen, als agiere er in seiner eigenen Welt. Er meidet den Blickkontakt, aber er scheint immer ein festes Ziel zu haben. Manchmal nähert er sich dem allein, manchmal fasst er einen am Arm und zieht einen mit.

Nachdem er ausgiebig in den Himmel geflogen ist, bedeutet er einem durch Laute und Handanlegen, dass nun ein Rollenwechsel ansteht: Die Besucherin soll schaukeln, Stian will anschubsen, die Schaukel eindrehen und kreisen lassen. Er hat seine eigene Art zu interagieren. Und sehr viel Ausdauer. Als es Zeit ist zu gehen, rät Monika Störkel-Kaiser: „Am besten Sie gehen jetzt einen Schritt zur Seite.“ Denn heftige Impulse, die er nicht gut kontrollieren kann, gehören ebenfalls zu Stians Symptomatik. Aber an diesem Tag fährt er gern zurück ins FED-Domizil in der Bahnstraße, vertreibt sich die Zeit bis die Mama ihn abholt, in der Hängematte. Denn bei Känguru Jugend kann auch drinnen geschaukelt werden. „Zuhause ist Stian weiter ständig in Bewegung, das stimuliert und beruhigt in“, erzählt Tarja Schnurr, die ihren Sohn nach der Arbeit gegen 17 Uhr abholt.

Er kommt seit Juli 2019 viermal pro Woche zur Einzelbetreuung. Für die Mutter bedeutet das Angebot „die Freiheit für ein bisschen normales Leben“. Und ein qualifiziertes Gegenüber, wenn gerade alles zu viel ist und kein Land in Sicht. „Junge Familien mit behinderten Kindern sind oft sehr allein“, bedauert Störkel-Kaiser. Das kann Tarja Schnurr nur bestätigen. Es sei schwer gewesen, passgenaue Förder- und Betreuungsmöglichkeiten zu finden. Auch die Finanzierung von Betreuungsangeboten findet sie unzureichend. Und trotz alledem: „Man trifft tolle Menschen, wenn man sich auf die Reise mit einem behinderten Kind macht“, sagt sie. Und dann geht sie mit Stian und Monika Störkel-Kaiser noch für eine allerletzte Runde auf den Spielplatz. Den gibt es nämlich auch direkt vor der Tür des FED, ohne Lamas, aber mit Schaukel.

INFOBOX

Der Familienentlastende Dienst

Den Familienentlastenden Dienst (FED) in Wiesbaden-Erbenheim gibt es seit 2003. Er gehört zum Handlungsfeld „Känguru“ der IFB-Stiftung.

Derzeit werden dort 52 Kinder ab dem sechsten Lebensjahr in der Bahnstraße 9A sowie im nahegelegenen Känguruland betreut. Das spendenfinanzierte Außengelände mit Lamas und Eseln, Spielgeräten und einer kindgerechten „Villa“ für schlechtes Wetter bietet gesicherte und betreute Aktivitäten – in Gruppen oder in der Einzelbetreuung.

Ziel ist es, Eltern und Geschwisterkindern eine Auszeit von der Sorge um ihr behindertes Kind zu ermöglichen. Dazu gibt es Nachmittagsangebote, aber auch altersgerechte Ferienfreizeiten und Tagesausflüge sowie Angebote für das Wochenende, etwa gemeinsames Kochen, Kinobesuche oder Bowling. Die Kosten werden ganz oder anteilig von den Pflegekassen übernommen, sofern eine Beeinträchtigung vorliegt und eine Pflegestufe greift; es gibt aber Obergrenzen. Über die Angebote im Einzelnen und die Nutzungsvoraussetzungen können sich Eltern unter www.kaenguru-jugend.de/betreuung informieren, alternativ unter Telefon 0611 7243949 oder per E-Mail: monika.stoerkel@ifb-stiftung.de

Stian mit Monika Störkel-Kaiser auf „Schatzsuche“ in der Bonbonbox.
Für Stian sind Besuche im Känguruland das Highlight der Nachmittagsbetreuung durch den FED. Unser Foto zeigt ihn beim Schaukeln mit Monika Störkel-Kaiser.
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