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Alexa hilft im Büro und beim Putzen

Digitale Assistenzsysteme helfen Menschen mit Behinderung selbstbestimmt am Leben teilzuhaben – Zweimonatige Erprobung durch Probanden mit körperlichen und geistigen Einschränkungen kam gut an.

Wenn Nicole Chwalek arbeitet, dann stehen ihr Hund Butch und ihre Sprachassistentin zur Seite.

MICHELBACH / IDSTEIN. Nicole Chwalek war zunächst skeptisch, als ihr Claudia Schlepper, Teilhabeexpertin bei der Gemeinnützigen Zuhause Mobil GmbH in Görsroth, vorschlug, zwei Monate lang den Sprachassistenten Alexa zu testen. Nicht nur zum Spaß, sondern als Teil eines Projekts, das darauf zielt, den Nutzen digitaler Unterstützungssysteme für Menschen mit Behinderungen auszuloten. Die Firma Amazon hat dafür ein gutes Dutzend Alexas zur Verfügung gestellt. Ende April ging es los. Die Geräte wurden bei Nicole Chwalek und weiteren Probanden installiert und erklärt.

 

„Ein digitaler Sprachassistent hat nicht für jeden Klienten einen Mehrwert“, sagt Schlepper. „Uns war klar, dass trotz gezielter Auswahl der eine oder andere abspringen würde.“ Nicole Chwalek blieb am Ball. Die 41-jährige Bauzeichnerin lebt in ihrem Haus in Aarbergen-Michelbach. Seit acht Jahren weiß sie, dass sie Multiple Sklerose hat, eine fortschreitende, chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung. Sie arbeitet im Homeoffice, kann sich noch ohne Hilfsmittel fortbewegen. Aber sie braucht Unterstützung im Alltag und die erhält sie von Zuhause Mobil, etwa um Einkäufe zu erledigen oder wenn sie zum Arzt muss.

Mit Alexa hört sie gerne Radio. „Bisher habe ich dafür meinen privaten Rechner benutzt. Jetzt sage ich zu Alexa den Titel und bekomme zusätzlich das passende Video gezeigt, denn ich nutze auch YouTube.“

Grundsätzlich findet sie die Sprachsteuerung bequem im Vergleich zu einer Steuerung über die Tastatur. Sie trägt Alexa überall mit hin, wenn sie die Wohnung putzt, ist das Gerät an ihrer Seite. Letztens hat sie einen Film auf Alexa geguckt. „Das war eine der Hausaufgaben, die wir während des Projekts immer wieder bekommen haben.“ Eine Einkaufsliste hat sie auch schon damit erstellt. Leider hat die das gleiche Schicksal erlitten, wie manche handschriftliche Notiz: Als Nicole im Laden steht, ist die Liste weg. Nicht abrufbar. Aber das will sie sich noch mal genau zeigen lassen.

Auch die Möglichkeiten, eine Sprachassistentin vielleicht perspektivisch in ihrem Beruf als Bauzeichnerin zu nutzen oder Funktionalitäten im Haus über kompatible Zusatzgeräte zu steuern, etwa das Licht oder die Temperatur, findet sie spannend, insbesondere für den Fall, dass die Krankheit auf lange Sicht ihre Mobilität einschränken könnte.

Wie Chwalek sind auch andere Klienten von der Spracherkennung zumeist begeistert. Thomas Fleischlig beispielsweise lässt sich gern den Wetterbericht ansagen und fragt Alexa nach Rezepten. „Neulich hat sie mir ein super Rezept für Gulasch herausgesucht. Samt Bild, Einkaufsliste und Zubereitungsempfehlung“, sagt der 49-Jährige, der mit seiner Frau in Idstein in einer betreuten Wohneinrichtung der IFB lebt.

Das Ehepaar arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und nutzt Alexa ausschließlich privat. Thomas Fleischlig lässt sich von seiner Sprachassistentin Arzttermine aufs Handy schicken und würde im Notfall damit den Rettungsdienst rufen. „Meine Alexa ist noch nicht dafür eingestellt, aber grundsätzlich kann sie das.“

 

Infokasten

Verbände wollen Recht auf digitale Teilhabe klarer geregelt wissen

Nach der Testphase können alle Teilnehmer der Erprobung Alexa behalten.

Und das ist ein großes Plus, denn viele Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen sind auf Sozialhilfe oder Grundsicherung angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Für den Bedarf an digitaler Ausstattung inklusive der dazu benötigten Dienstleistungen sind 41,66 Euro pro Monat im Regelsatz vorgesehen.

Nach Dafürhalten mehrerer Fachverbände ist das zu wenig. Sie wünschen sich zudem, dass die digitale Teilhabe gesetzlich geregelt wird durch eine ausdrückliche Nennung der Teilhabe am digitalen Leben im § 78 des SGB IX, damit diese Assistenzform bei der Bedarfsermittlung regelhaft berücksichtigt wird.

Für Kinder und Jugendliche mit Behinderung soll das Recht auf digitale Bildung im § 112 des SGB IX festgeschrieben werden. Die Hilfen zur Schulbildung sollen „auch Maßnahmen in digitaler Form sowie Gegenstände und Hilfsmittel“ umfassen, „die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Teilhabe an Bildung erforderlich sind.“

Die IFB Stiftung, die sich seit Jahrzehnten für die Förderung und Betreuung von Menschen mit Behinderung stark macht, unterstützt die Forderungen der Verbände. „Digitale Geräte prägen heute unseren Alltag. Es sollte selbstverständlich sein, dass Kinder und Erwachsene mit Behinderung daran gleichberechtigt teilhaben. Das gilt umso mehr, weil digitale Hilfsmittel dazu beitragen können, Einschränkungen, beispielsweise der Mobilität, auszugleichen“, sagt Melissa Groh Geschäftsführerin der IFB-Stiftung.

20211025_Fachverbände_Forderungen zur digitalen Teilhabe_END (diefachverbaende.de)

Wenn Nicole Chwalek arbeitet, dann stehen ihr Hund Butch und ihre Sprachassistentin zur Seite. Foto: IFB-Stiftung
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